Montag, 23. April 2012

Parteienlandschaft: Piraten im Umfragehoch

Als sollte den Parteien im Bundestag, von denen zumindest CDU/CSU, SPD und FDP in den letzten Tagen unter anderem mit Plänen zur Beschränkung des Rederechts im Bundestag für Aufsehen sorgten, weiter das Fürchten gelehrt werden: Das Meinungsforschungsinstitut Emnid übertrifft noch die Wahlprognosen der Kollegen von Forsa. Fast jeder dritte Deutsche könne sich vorstellen, die Piratenpartei zu wählen, heißt es laut einer aktuellen Umfrage. Emnid hatte dafür am 29. März 2012 und am 12. April 2012 insgesamt 1007 Personen befragt.

Das größte Potenzial hätten die Piraten mit 50 Prozent bei den jungen Wählern bis 29 Jahren. 81 Prozent der Befragten sagten, die Piratenpartei habe Erfolg, "weil sie ganz anders als die anderen Parteien sind", heißt es in der Umfrage, die Emnid im Auftrag von Bild am Sonntag durchführte.


Laptop mit Aufkleber der Piratenpartei Vergrößern
Bild: Tobias M. Eckrich Nach Einschätzung von Emnid-Chef Klaus-Peter Schöppner ist die junge Partei so erfolgreich, weil viele Wähler dort eine Alternative sehen: "Sie stehen für ein Weg-von-der-Sprechblasen-Politik und deren vermeintlicher Unehrlichkeit, die alle wichtigen Entscheidungen in Hinterzimmern auskungelt." Inhaltlich identifizieren die Deutschen die Piraten vor allem mit dem Netz: 55 Prozent sagen, die Piraten setzen sich für "Freiheit im Internet" ein.

Die Piratenpartei selbst stellte am Sonntag ein Papier vor, mit dem sie zur "Aufklärung von Mythen" über die Positionen der Partei zum Urheberrecht beitragen will. In den letzten Tagen hatte es immer wieder in Debatten über das Urheberrecht in der digitalen Welt heftige Vorwürfe an die Piraten gegeben, sie wollten das Urheberrecht einfach abschaffen und propagierten lediglich eine "Umsonstkultur".

Im aktuellen Sonntagstrend, den Emnid wöchentlich im Auftrag der Bild am Sonntag erhebt, erreichen die Piraten 12 Prozent – 2 Punkte mehr als in der Vorwoche. Die Grünen rutschen dagegen auf den tiefsten Stand seit mehr als zwei Jahren – ebenfalls 12 Prozent (minus 1). Die SPD verharrt demnach bei 26 Prozent, die Union kommt auf 35 Prozent (minus 1). Für die FDP sprachen sich unverändert 4 Prozent aus, für die Linkspartei 7 Prozent. Nach der bislang letzten Forsa-Umfrage zum Wahlverhalten bei Bundestagswahlen kämen die Piraten auf 13 Prozent und lägen damit vor den Grünen mit 11 Prozent.

Während die jüngsten Umfragezahlen für gute Stimmung bei den Piraten sorgen dürften und in Prag eine europaweite Zusammenarbeit unter Piratenparteien diskutiert wurde, haben die Piraten in Nordrhein-Westfalen ihr Programm zur Landtagswahl festgelegt. Dazu gehören unter anderem Forderungen nach einem eingliedrigen Schulsystem und der Auflösung der Klassenverbände in den Landtagswahlkampf. Ein Sonderparteitag in Dortmund stimmte diesem Konzept am Wochenende mit deutlicher Mehrheit zu. In ihrem Wahlprogramm lehnen die Mitglieder außerdem "eine Ausweitung von Überwachungstätigkeiten im Internet" ab. Außerdem dürfe eine Online-Durchsuchung nur bei einem Anfangsverdacht und einer Anordnung durch einen Richter durchgeführt werden.

Die Piratenpartei wendet sich gegen den Ausbau der Videoüberwachung in öffentlichen Räumen. Die Aufklärung von Straftaten sei in der Regel auch ohne diese Überwachung erfolgreich, heißt es in dem Programm für die Wahl am 13. Mai. Polizeibeamte wollen sie mit einem eindeutigen Identifikationsmerkmal versehen. Dadurch sollen einzelne Beamte nach Ausschreitungen bei Demonstrationen ermittelt werden können. Zudem fordert die Partei einen Polizeibeauftragten des Landtages – analog zum Wehrbeauftragten der Bundeswehr.

Kernthema soll der Verbraucherschutz sein. Unter anderem wollen die Piraten die Sicherheit von Lebensmitteln erhöhen. Sämtliche Medikamentengaben in der Tieraufzucht sollen in einer Datenbank erfasst werden. In der Wirtschafts- und Finanzpolitik setzt die Partei auf Transparenz. Jeder Haushaltsentwurf des Landes müsse im Internet vollständig einsehbar sein. "Jeder Bürger soll die Möglichkeit haben, die Grundlagen für Finanzentscheidungen nachvollziehen zu können", sagte Spitzenkandidat Joachim Paul.

In der Bildungspolitik wollen die Piraten keinen radikalen Umbau. "Wir brauchen eine Politik der kleinen Schritte", so Spitzenkandidat Joachim Paul. Die Piraten fordern eine bessere Ausstattung von Schulen mit Computern, virtuellen Klassenzimmern und kostenlosem Lernmaterial aus dem Internet. Ein Großteil der Schüler soll mobile Computer bekommen, der Unterricht im Kurssystem stattfinden und das Sitzenbleiben nicht mehr möglich sein.

Die NRW-Piraten setzen sich für einen kostenlosen öffentlichen Nahverkehr ein. Die Partei verspricht sich davon eine stärkere Nachfrage nach Bussen und Bahnen. Bürger mit geringem Einkommen profitierten davon. Zudem entfielen die Kosten für Kontrollen und für den Fahrscheinverkauf.

Subventionen lehnen die Piraten prinzipiell ab. "Wir denken, dass Subventionen zu einer Wettbewerbsungerechtigkeit führen", sagte Joachim Paul. Insbesondere mittelständische Unternehmen hätten nicht genug Personal, um den bürokratischen Aufwand von Subventionen zu bewältigen.

Die Parteimitglieder haben an zwei Tagen über mehr als 200 Anträge beraten. Konkrete Angaben dazu, wie sie ihre Vorhaben finanzieren wollen, machten sie kaum. Trotz guter Umfragewerte gab sich die Partei bei ihren Erwartungen zum Wahlergebnis bescheiden: "Unser Ziel für die Wahl ist 5 Prozent plus X", sagte Spitzenkandidat Paul.

Mit dem Aufwind, der durch die Wahlergebnisse in Berlin und im Saarland und die Umfrageergebnisse aus Deutschland weht, nehmen zudem Piraten aus zahlreichen Staaten Kurs auf Europa. Ziel sei die Gründung einer Europäischen Piratenpartei für die Europawahlen im Jahr 2014, sagte der Mitbegründer der deutschen Piratenpartei, Jens Seipenbusch, nach einem internationalen Treffen in Prag. "Eine Menge Leute stehen in den Startlöchern, um die Statuten auszuarbeiten." Rund 200 Delegierte von Piratenparteien aus mehr als 25 Ländern berieten am Wochenende in der tschechischen Hauptstadt über eine engere Zusammenarbeit. Bei der Tagung der Dachorganisation "Pirate Parties International" einigten sich die Teilnehmer nach schwierigen Verhandlungen zunächst auf eine Übergangslösung. Die Deutschen und die Mehrzahl der europäischen Ländersektionen preschten mit den Vorbereitungen für eine "Konföderation" voran, sagte der deutsche Delegierte Thomas Gaul gegenüber dpa. Andere Piratenverbände wollten sich in Prag nicht festlegen und zunächst ihre Mitglieder befragen. Vertreter aus Großbritannien und der Schweiz befürworteten nur einen losen Zusammenschluss und bremsten. (mit Material von dpa) / (jk)


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