Mittwoch, 18. April 2012

"Geleakter" Gesetzentwurf: Maßnahmen gegen Abmahnmissbrauch

Die Bundesregierung will deutlicher als bisher gegen das Abmahnunwesen vorgehen. Das geht aus einem inoffiziellen Referentenentwurf (PDF) hervor, der in einem unverlinkten Bereich eines Pressedienst-Servers aufgetaucht ist. Das Bundesministerium der Justiz, von dem das Dokument stammt, hat dessen Echtheit auf Anfrage von heise online bestätigt.

Der Text des Entwurfs sieht verschiedene Maßnahmen zur Eindämmung unseriöser Geschäftspraktiken im Zusammenhang mit dem Internet vor. So sollen die Streitwerte für Fälle, bei denen es um die Verletzung von Urheberrechten durch das Kopieren fremder Inhalte geht, erheblich sinken. Das würde zur Folge haben, dass die anfallenden Anwaltskosten und Erstattungen deutlich niedriger ausfallen als bisher. Wenn sich eine kostenpflichtige Abmahnung künftig als unberechtigt erweist, soll der zu Unrecht Abgemahnte die Kosten für den von ihm selbst eingeschalteten Rechtsanwalt zurückerstattet bekommen.

Auch kleinere Wettbewerbsverstöße von Online-Händlern sollen weniger Verfahrenskosten nach sich ziehen. Gleichfalls im Gesetzespaket findet sich die Abschaffung des "fliegenden Gerichtsstandes", allerdings nur für wettbewerbsrechtliche Streitigkeiten: Wenn jemandes Rechte durch Internet-Veröffentlichungen eines Mitbewerbers verletzt wurden, kann er bislang den Gerichtsstand selbst nach seinem Belieben unter denjenigen Standorten wählen, von denen sich die betreffenden Inhalte abrufen lassen. So platzieren Rechteinhaber ihre Klagen gern bei immer denselben Gerichten, die bereits in der Vergangenheit durch ihnen genehme Urteile aufgefallen sind.

Veränderungen soll es auch für Werbung auf Websites geben – sofern diese nicht korrekt als solche gekennzeichnet ist. Weitere geplante Bestimmungen richten sich gegen unerlaubte Werbeanrufe: Sie sollen statt maximal 50.000 Euro künftig bis zum Sechsfachen dessen kosten.

In der Vergangenheit ist eine regelrechte Abmahnindustrie entstanden, die massenhaft Abmahnschreiben mit der Aufforderung zur Abgabe strafbewehrter Unterlassungserklärungen etwa an Teilnehmer von Filesharing-Tauschbörsen richtete. Für den unerlaubten Upload eines einzelnen urheberrechtlich geschützten Werks wurden und werden Streitwerte bis zu 10.000 Euro angesetzt. Die bisherige Deckelung von Abmahngebühren auf 100 Euro in § 97a Abs. 2 des Urheberrechtsgesetzes (UrhG) für "einfach gelagerte Fälle mit einer nur unerheblichen Rechtsverletzung außerhalb des geschäftlichen Verkehrs" haben Gerichte nur selten angewandt; die abmahnenden Kanzleien machen oft angeblichen Rechercheaufwand und individuelle Fallbesonderheiten geltend. Diese Deckelung soll abgeschafft werden. Dafür will die Regierung nun offenbar beim Streitwert ansetzen.

Sie will diesen für bestimmte Fälle per Gesetz auf 500 Euro begrenzen. Die Grenze soll im neuen § 49 des Gerichtskostengesetzes (GKG) installiert werden und für solche Verletzungen geistigen Eigentums gelten, die durch Privatleute erfolgen, sofern es sich um deren erste Verfehlung gegenüber dem betreffenden Rechteinhaber handelt. Wenn die genannten Voraussetzungen vorliegen, fallen für eine anwaltliche Abmahnung beim üblichen Satz einer 1,3-fachen Geschäftsgebühr gemeinsam mit der Auslagenpauschale nur noch 70,20 Euro an – gegebenenfalls plus Mehrwertsteuer.

Die angedachte Neuregelung stößt bereits jetzt auf Kritik: "Trotz der 70,20 Euro lohnt sich das Geschäft beim Einsatz von Textbausteinen weiterhin für so genannte Abmahnkanzleien“, meint etwa der Freisinger Rechtsanwalt Thomas Stadler. "Liegt aber eine individuell zu beurteilende Urheberrechtsverletzung vor und soll eine Abmahnung erfolgen, bleibt der Rechteinhaber auf dem Großteil der Anwaltskosten sitzen“, so Stadler weiter. Für diesen Betrag könne nämlich kein spezialisierter Anwalt kostendeckend beraten.

Um Abmahnwilligen weiterhin den Wind aus den Segeln zu nehmen, sieht der Entwurf einen neuen Absatz 3 im § 97a UrhG vor: Wenn eine kostenpflichtige Abmahnung unberechtigt war und der Abgemahnte zu deren Abwehr einen eigenen Anwalt eingeschaltet hat, so muss der unberechtigt Abmahnende die Kosten dafür erstatten. Einen derartigen Ersatzanspruch haben bislang die allermeisten Gerichte abgelehnt, sodass viele Abgemahnte wegen des weiteren Kostenrisikos vom Gang zum Anwalt abgesehen und stattdessen lieber die Abmahnkosten gezahlt haben.

Die Verfasser des Gesetzentwurfs haben sich nicht nur des Urheberrechts, sondern auch des Wettbewerbsrechts angenommen: Hier will man insbesondere kleinere und mittelständische Onlineshops vor teuren Abmahnungen wegen Bagatell-Wettbewerbsverstößen schützen. Wenn ein solcher Verstoß für den wettbewerbswidrig Handelnden keinen nennenswerten Vorteil hat, kann künftig auf seinen Antrag hin der Streitwert gemindert werden. Ein Streitwert von 1000 Euro soll etwa dann im E-Commerce gelten, wenn es um "Marktverhaltensregeln" geht, die nicht im Gesetz gegen den unlauteren Wettbewerb (UWG) stehen. Als Beispiele nennt der Entwurf Verstöße gegen die Impressumspflicht im Web, Verwendung unzulässiger Klauseln in allgemeinen Geschäftsbedingungen (AGB) und das Nichteinhalten der Vorgaben aus der Preisangabenverordnung (PAngV).

Ein weiteres Instrument zur Eindämmung des allzu gut florierenden Geschäfts mit fremden Wettbewerbsverletzungen sieht das Ministerium in der Abschaffung des "fliegenden Gerichtsstands“. Die vorgesehene Neuregelung sieht als Grundsatz vor: Zuständig für den Rechtsstreit soll das Gericht in dem Bezirk sein, in dem der vermeintliche Wettbewerbsverletzer seinen geschäftlichen Sitz hat .

Eine Verschärfung sieht der Entwurf im UWG für den Fall vor, dass Website-Betreiber Werbung auf ihren Seiten nicht oder zumindest nicht so ausweisen, wie § 6 des Telemediengesetzes (TMG) es vorschreibt. Ein Verstoß gegen diesen Paragrafen soll künftig zugleich auch einen Verstoß gegen das UWG darstellen. Zu der Frage, ob ein solcher Fall dann auch unter die genannte Begrenzung des Streitwerts für Wettbewerbssachen auf 1000 Euro fällt, gibt der Entwurf allerdings keine Antwort.

Bereits 2009 hat die Regierung die Hürden für telefonische Anrufe zu Werbezwecken drastisch heraufgesetzt. Um insbesondere so genannte Cold Calls und untergeschobene Verträge für dubiose Anbieter weniger attraktiv zu machen, sieht die Novellierung eine Erhöhung des Bußgeldrahmens vor: Das derzeitige Maximum von 50.000 Euro soll auf 300.000 Euro wachsen. Da es in der Vergangenheit zu einer Regelungslücke gekommen ist, will man nun klarstellen, dass die Bußgelddrohung auch für solche Anrufe gilt, die durch automatische Telefoncomputer erfolgen.

Auch in puncto Datenschutz will das Bundesjustizministerium die Zügel anziehen. Soweit Verbraucher bei einem Vertragsschluss auch ihre personenbezogenen Daten für Werbung angeben sollen, muss das als Vertragspartner auftretende Unternehmen bestimmte Informationspflichten einhalten. Um das sicherzustellen, sollen datenschutzrechtliche Einwilligungen der AGB-Kontrolle unterworfen werden.

Wann der Entwurf in die parlamentarische Beratung geht, ist noch unklar. Zu erwarten ist allerdings, dass gerade die Lobby der Urheberrechteinhaber massive Einwände gegen die geplanten Neuregelungen erheben wird. (Dr. Noogie C. Kaufmann) / (psz)


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